Eine Dame in Paris - Ein Film von Ilmar Raag. Kinostart: 18. April 2013 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 09.04.2013


Eine Dame in Paris - Ein Film von Ilmar Raag. Kinostart: 18. April 2013
Kristina Tencic

Selten wurde Kratzbürstigkeit so charmant verkörpert wie in der Rolle der wohlhabenden und doch vereinsamten Migrantin, gespielt von der Grande Dame des französischen Films, Jeanne Moreau,...




... die sich auf keinen Fall helfen lassen will, erst Recht nicht von einer Dorfpomeranze (brillant verkörpert durch die erfolgreiche estländische Schauspielerin Laine Mägi).

Ein Alkoholiker als Ex-Mann, die Kinder weit fort, eine Mutter die seit Jahren pflegebedürftig ist, ein verlassener Ort in Estland. Dies ist der Alltag von Anne (Laine Mägi), bis zu dem alles verändernden Anruf kurz nach dem Tod ihrer Mutter, in dem ihr das Angebot gemacht wird, eine alte Estländerin in Paris zu pflegen. Nach anfänglichem Zögern nimmt sie die Stelle an und findet sich in einem großzügigen Stadtappartement wieder, in Paris, der Stadt, von der sie als Französisch-Studentin immer geträumt hat.

Doch leider ist auch in Paris nicht alles so märchenhaft wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Und so sieht sich Anne konfrontiert mit einer kratzbürstigen alten Dame (Jeanne Moreau), die zwar vor langer Zeit als Estländerin nach Paris kam, es jedoch vorzog, alle alten Gebräuche inklusive der Sprache abzulegen. Trotz ihrer Einsam- und Gebrechlichkeit wünscht Frida keine Hilfe, und schon gar nicht von einem "estnischen Bauerntrampel". Vielmehr verzehrt sie sich nach der Aufmerksamkeit ihres früheren Geliebten Stéphane (Patrick Pineau). Keine einfache Situation für die fürsorgliche und dabei sehr professionelle Altenpflegerin Anne.

Zwischen den beiden unfreiwillig zusammenlebenden Frauen entspinnt sich ein feinfühliges Beziehungsgeflecht, bei dem nicht die großen Gesten zählen. Es sind die kleinen Ereignisse und wohlbehüteten Rituale, die den Tag für Frida trotz ihres daseinsbestimmenden Liebeskummers noch irgendwie lebenswert machen. Es ist das luftige Buttercroissant aus der Boulangerie, der auf den Punkt gebrühte Tee, oder die Aussicht auf einen Ausgang, für den es sich zu schminken lohnt. Anne versucht alles, um Madame zu erheitern und entdeckt fast im Vorbeigehen auch ihre ganz eigenen "Plaisirchen".

Jeanne Moreau, eine Institution im französischen Cinema, bringt die kampfeslustige Charakterstärke einer Frau zum Ausdruck, der man/frau anmerkt, dass sie einiges in ihrem Leben auf sich genommen hat, um dort zu sein, wo sie ist. Mit über 80 nimmt sie sich das Recht heraus, geradeaus zu sagen was sie denkt und fürchtet sich vor nichts – nicht einmal dem Tod. In Kombination mit der Herzensgüte, welche die in Estland sehr bekannte Schauspielerin Laine Mägi personifiziert, ist dies ein unterhaltsames Doppel.

"Eine Dame in Paris", der vierte Spielfilm des estländischen Regisseurs Ilmar Raag, wirft viele aktuell heftig diskutierte Fragen auf, so etwa was ist, wenn man/frau sich den Tod eines anderen Menschen herbei sehnt. Wenn Pflege zur Plage wird und nicht mehr von den Angehörigen geschultert werden kann, wie es Martina Rosenberg prominent und provokant in ihrem Buch "Mutter, wann stirbst du endlich?" behandelt. Doch auch Themen wie Liebe und Sexualität im Alter, Probleme der Migration und der Assimilierung werden angeschnitten und mit viel Fingerspitzengefühl behandelt. Zerbrechlich wie die Seele eines Menschen, hauchzart ist dieser Film, und dabei jedoch gewichtig in seiner Besetzung.

AVIVA-Tipp: "Eine Dame in Paris" erzählt im Grunde von zwei Frauen, die im Endeffekt nicht sehr viel unterscheidet: Beide sind an einem Wendepunkt in ihrem Leben, dem sich die eine verhärmt und voller Herzschmerz ergibt, wohingegen die zweite unbedarft diese Wende willkommen heißt und eine neue Lebenslust entdeckt. Der Film nähert sich mit einfacher Klugheit und Herzensgüte diesen kantigen Charakteren und lässt Alter und Gebrechlichkeit in einem würdigen Licht erscheinen. Die Wahrhaftigkeit, die aus diesen Beziehungen spricht, entwickelt eine universelle Sensibilität, die weit über die estländische und französische Grenze Gültigkeit besitzt.

Jeanne Moreau ist eine 1928 in Paris geborene französische Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin. Sie kann auf eine bemerkenswerte Karriere zurückblicken, mit einer Filmografie von über 120 Werken, zu der insbesondere "Jules und Jim" zählt. Der 1962 unter Francois Truffaut entwickelte Film gilt als der Meilenstein ihrer Karriere, dem weitere Klassiker, etwa Die Braut trug schwarz folgten. Sie hat mit vielen Film- und Theatergrößen zusammengearbeitet, unter anderem mit Louis Malle, Tony Richardson, Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders oder auch mit Luis Bunuel und Peter Brook. Nicht zuletzt steht sie auch in engem Zusammenhang mit ihrer Freundin Marguerite Duras. Jeanne Moreau hat eine Kultaura inne und zählt noch zu Lebzeiten als Legende des französischen Films. Jeanne Moreau wurde als erste Frau 2000 in die Akademie der schönen Künste des Instituts de France berufen.

Eine Dame in Paris
Originaltitel: Une estonienne à Paris
Frankreich, Estland, Belgien 2012
Regie und Drehbuch: Ilmar Raag
Darstellerinnen: Jeanne Moreau, Laine Mägi, Patrick Pineau, François Beukelaers, Frédéric Epaud, Claudia Tagbo, Ita Ever, Helle Kuningas, Tõnu Mikiver, Helene Vannari
Spielzeit: 94 Minuten
FSK: keine Altersbeschränkung
Kinostart: 18.04.2013
www.eine-dame-in-paris.de


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Kristina Tencic